Am Sonntag gestalten die Musiker der Musikscheune gemeinsam mit Pfarrerin Frida Rothe den Gottesdienst zum Scheunensommer. In Ihrer Predigt nahm Frau Rothe unsere Idee zum Café Johannes und zum Scheunensommer in wunderbarer Weise auf.
Predigt zu Lukas 5,1-11 beim musikalischen Gottesdienst zum Scheunensommer, 5.Juli 2015
Liebe Gemeinde
heute Mittag erwartet uns im „Café Johannes“ ein Mittagsimbiss unter dem Motto „Alb trifft Orient“. Alb trifft Orient – das ist ein schönes Motto –nicht nur, weil mein Mann Islambeauftragter ist und unsere ganz Familie durch Begegnungen mit dem Orient und seinen Menschen geprägt ist. Alb trifft Orient, das geschieht im Grunde in jedem Gottesdienst, das ist für eine Kirchengemeinde sozusagen alltäglich – oder sagen wir besser all-sonntäglich. Die biblischen Texte sind in der Welt des Orient entstanden, die großen Erzählungen des Alten Testaments, die Psalmen, die wir beten, genauso wie das Neue Testament. Und später der Koran. Die großen Buch-Religionen – Judentum, Christentum, Islam –alle haben ihre gemeinsamen Wurzeln in der Welt des Orient. Jesus war Orientale – und ich erinnere mich an einen Besuch in der Himmelfahrtskirche mit dem syrisch-orthodoxen Bischof in Jerusalem Anfang der 80er Jahre. Er hat uns ein Bild gezeigt, auf dem Jesus aussieht, wie die Menschen im Orient. Immer, wenn wir auf seine Botschaft hören, trifft die Alb – oder wo immer wir Gottesdienst feiern – den Orient. „Ex oriente lux“ – aus dem Osten kommt das Licht – lautet der alte lateinische Spruch, vom Sonnenaufgang auf das Christentum übertragen. So ist es Aufgabe jeden Gottesdienstes, eine Brücke zu schlagen zu der Welt und Zeit, in der die Bibel entstanden ist.
Auch das Motto, das über der Homepage für die Renovierung unseres Johanneskirche steht, gilt für jeden Gottesdienst: „erhalten, was Generationen geschaffen haben“. Es geht ja beim Erhalt einer Kirche nicht nur um ein Gebäude. Sinn und Ziel einer Kirchengemeinde ist es, den Glauben weiter zu geben, der uns von Generation zu Generation überliefert wurde. Nicht bewahren wie altehrwürdige Gegenstände in einem Museum – oder in Ausstellungsvitrinen – sondern so, wie es auch mit den alten Schopflocher Scheunen geschieht: mit neuem Leben füllen.
So begegnen wir am heutigen Sonntag einer Geschichte aus dem Lukasevangelium.
Da sehen wir zuerst eine große Menschenmenge, die zum Ufer des Sees Genezareth strömt, – so wie viele an diesem Wochenende zum Scheunensommer kommen – zu diesem Event auf der Alb oder zu all den anderen Festen und Ereignissen, wie den Kunst- und Aktionspfad am Randecker Maar, der vor einer Woche eröffnet wurde. Es ist eine so große Menge, dass Jesus in ein Boot auf dem See ausweichen muss. Mir steht dabei der zurückliegende Kirchentag vor Augen, wo vor manchen Hallen auf einem Schild zu lesen war: „Halle überfüllt“. Sie kommen, um Gottes Wort zu hören – erwartungsvoll, neugierig, offen, voller Hoffnung, vielleicht auch enttäuscht vom Leben, auf der Suche – viele Menschen, mit unterschiedlichen Erfahrungen und Biographien. Menschen wie wir.
Der Blick richtet sich dann auf einen einzelnen: Simon Petrus – zu ihm steigt Jesus ins Boot. Aus seinem Boot spricht er zu der Menge – und wendet sich ihm dann direkt zu.
Diese Geschichte aus dem Evangelium schildert keine historische Begebenheit- kein längst zurückliegendes Ereignis einer fernen Vergangenheit. Sie ist eine Einladung zum Glauben, und da bin ich als einzelne, einzelner Mensch angesprochen, mit dem, was ich mitbringe, ich bin gefragt – so wie jede Gemeinschaft, jede Kirchengemeinde davon lebt, dass ich mich persönlich angesprochen fühle .
Ich stelle mir vor, dass Simon müde ist, müde von der langen Nacht auf dem See, einer vergeblichen Nacht, ohne Fang, ohne Fische – enttäuscht, ausgebrannt, gescheitert in seinem Bemühen. – So wie wir es auch immer wieder erleben, wenn unsere Anstrengung nicht zum Erfolg führt. Oder wir das Gefühl haben, auf verlorenem Posten zu kämpfen –
Doch Jesus fordert ihn auf: „Fahr hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netzte zum Fang aus!“
Welch‘ unsinnige Anweisung aus der Sicht eines Fischers, der sein Handwerk versteht. Fische gehen bei Nacht ins Netz, nicht bei Tag. „Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen“ – Simon Petrus nennt die Gründe, die dagegen sprechen. Man könnte einpacken, auf den Misserfolg schauen, resignieren. Doch das führt nicht weiter.
Simon Petrus reagiert anders: „Auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen“. Das ist Glauben. Das ist Vertrauen, dass das Unmögliche, möglich werden kann. Aufbrechen gegen die Logik, dass nichts zu machen ist, neu anfangen, auch wenn ich meine, dass ich doch schon alles versucht habe – . Und Simon macht einen übergroßen Fang, mehr als erwartet, mehr als Netze und Boot fassen können. Überwältigend viel.
Es ist merkwürdig an dieser Geschichte, wie da unsere Kategorien von Erfolg und Misserfolg, von Gelingen und Scheitern in Frage gestellt werden. Wie reagiert Simon? Er könnte sich doch wie der reiche Kornbauer im Gleichnis sagen: „Jetzt habe ich ausgesorgt,“ oder sich über den Erfolg freuen. Aber jetzt, wo er unglaublich beschenkt ist, sagt er: „Geh weg von mir, Herr, ich bin ein sündiger Mensch“. Das lässt sich erklären aus den Gottesvorstellungen des Alten Testaments. In den Mosegeschichten hören wir, dass niemand am Leben bleibt, der Gott ins Angesicht schaut, oder Jesaja sagt bei seiner Berufung „Wehe mir, ich vergehe..“. Gott ist größer als unsere Vorstellung von ihm. Er ist nicht das Wunschbild, das wir uns von ihm machen. Es macht uns bewusst: ich bin nicht das Maß aller Dinge, ich, mit meinem begrenzten Verstand, meinem beschränkten Horizont.
Das hat etwas Befreiendes. „Fürchte dich nicht!“ hört Simon. So wie es an entscheidenden Stellen der biblischen Überlieferung Menschen hören, denen Gott begegnet.
Simon Petrus erhält eine neue Aufgabe: „von nun an wirst du Menschen fangen.“ Menschen fangen? Menschenfängerei – das klingt nicht gut in meinen Ohren. Ich denke an phishing mails. Ich denke auch an den IS, der mit seiner Propaganda viele junge Menschen für seine menschenverachtende Ideologie gewinnt. Das macht nicht nur Christen Angst, sondern auch Muslimen. Ich habe in den vergangenen Wochen des Ramadan einige Male am Fastenbrechen teilgenommen, auch gestern Abend auf dem Kirchheimer Marktplatz – und jedes Mal kam zur Sprache, wie es die Muslime bedrückt und sie darunter leiden, dass ihre Religion missbraucht und ihr Glaube dadurch in ein falsches Licht gerückt wird. Ich muss gar nicht auf die andere Religion schauen, ich denke auch an unsere eigene Kirchengeschichte. Wie oft wurden im Namen des Christentums – seit es im 4.Jahrhundert Staatsreligion wurde – Menschen gewaltsam „bekehrt“, „christianisiert“. Ob in Deutschland die Sachsen unter Karl dem Großen oder die Indios in Südamerika nach Kolumbus– immer wurde der christliche Glaube missbraucht, um Völker zu unterdrücken und ihrer eigenen Kultur zu berauben. Und auch der Irakkrieg in jüngster Zeit berief sich auf „christliche“ Motive.
Auch im Orient wurde durch christliche Mission viel Schaden angerichtet, sie hat zur Spaltung und Schwächung der dortigen Kirchen beigetragen – obwohl in der Bildungs- und Gesundheitsarbeit auch manches Gute getan wurde – wenn wir an das Syrische Waisenhaus, die heutigen Schnellerschulen, denken.
Ich bin dankbar, dass unser Missionswerk heute partnerschaftlich mit den Kirchen in Afrika und Asien zusammenarbeitet – auf Augenhöhe- und in unserer Kirche Ökumenische Mitarbeiter aus Partnerkirchen arbeiten, die uns die fremde Kultur vermitteln können.
Als junge Frau wollte ich im Libanon studieren und bin deshalb im Frühjahr 1982 – mitten im Bürgerkrieg – nach Beirut gereist. Dort hat mich u.a. der maronitische Dichter, Simon Yussuf Assaf, gastfreundlich in sein Haus aufgenommen.
Er schreibt in einem seiner Gedichte mit der Überschrift: Zweifel
„Immer wenn ich das Kreuz betrachte, kommt Zuversicht über mich. Und immer wenn ich seinen Anhängern begegne, überkommt mich Zweifel.
Immer, wenn ich mich dem Gekreuzigten nähere, kommt Stille über mich. Und immer wenn ich seine Prediger höre, überkommt mich Ratlosigkeit.
Wir werden nicht als Herde oder im Verein das Himmelreich betreten, sondern als einzelne, die seine Stimme vernahmen in ihrem Herzen und ihm folgten.“
„Von nun an wirst du Menschen fangen“, das heißt auch für mich, die Stimme Jesu hören und ihr folgen. Bei Jesus sehe ich, dass er sich Menschen zuwendet, in ihr Haus geht, offen für sie ist, sich sogar von ihnen in Frage stellen lässt, wie von der phönizischen Frau im heutigen Libanon, sie ermutigt und ihnen neue Perspektiven aufzeigt. So hat er die Herzen der Menschen gewonnen, nicht mit Gewalt, nicht mit Bekehrungseifer, sondern mit Liebe und Barmherzigkeit. Am Ende hat ihn sein Weg ans Kreuz gebracht. Aber was – menschlich gesehen – nach Scheitern aussieht – ist die Überwindung all dessen, was uns am Leben hindert, die Angst vor Scheitern und Misserfolg, die Furcht vor dem Tod. Wer sich einladen lässt, es auf sein Wort hin zu wagen, erlebt, dass es trägt und ihm den Blick weitet. Den Blick im Umgang mit anderen, auch denen, die mir fremd sind – vor denen ich womöglich Angst habe.
In dieser Geschichte von dem übergroßen Fang habe ich auch die Bilder der überfüllten Boote im Mittelmeer vor Augen. Wer sie sieht, dem bleibt der lange geäußerte Slogan – „das Boot ist voll“ – im Halse stecken. Meiner Wahrnehmung nach ist er inzwischen verstummt. Und ich freue mich, dass eine große Bereitschaft vorhanden ist. sich der Not der Menschen anzunehmen.
Ich wünsche mir, dass sich viele einzelne von der Stimme Jesu anstecken lassen und seinem Ruf folgen. Sich nicht enttäuschen lassen, sondern den Glauben leben. Ich finde keine überzeugendere Lösung für die Probleme, die uns heute beschäftigen, als dass Menschen sich anstecken lassen und sich dann gemeinsam auf den Weg machen. Der Scheunensommer ist ein gutes Beispiel dafür.